Gefährlich für den Wirtschaftsstandort Schweiz
Wie steht Novartis zur Begrenzungsinitiative?
Mittels der Begrenzungsinitiative soll die Zuwanderung aus den europäischen Ländern beschränkt werden. Daher sei vorab gesagt: Treffender ist wohl die Bezeichnung “Kündigungsinitiative”, denn de facto handelt es sich hier um eine Abstimmung über das Personenfreizügigkeitsabkommen. Innerhalb von 12 Monaten mit der EU erfolgreich über eine Aufhebung der Personenfreizügigkeit zu verhandeln, ist in meinen Augen illusorisch – man betrachte nur die zähen Verhandlungen zum Brexit. Doch eben dieses Personenfreizügigkeitsabkommen ist für die Schweizer Wirtschaft sehr wichtig – und zwar in beide Richtungen, was oft übersehen wird. So machen auch Schweizerinnen und Schweizer von der Möglichkeit, in Europa zu arbeiten Gebrauch. Novartis profitiert selbstverständlich ebenfalls von der Personenfreizügigkeit, denn wir entsenden Schweizerinnen und Schweizer zu unseren europäischen Niederlassungen. Zudem haben wir am Hauptsitz in Basel rund 30% Grenzgängerinnen und Grenzgänger und zahlreiche EU-Bürger beschäftigt, auf welche wir angewiesen sind – sie leisten einen ganz wesentlichen Beitrag zu unserer Geschäftstätigkeit in der Schweiz.

Ist es denn nicht möglich, die Stellen mit Inländern zu besetzen? Auch in der Schweiz gibt es ja gut ausgebildete Fachkräfte!
Das Bildungssystem in der Schweiz ist weltweit führend. Das beweisen auch die zahlreichen Forschungskooperationen, die wir mit Schweizer Bildungsinstitutionen unterhalten. Rund zwei Drittel der offenen Positionen bei Novartis werden bei uns in der Schweiz auch mit Bewerbern aus der Schweiz besetzt. Gleichzeitig gibt es leider dennoch für nahezu jede zehnte Stelle keine einzige Bewerbung aus der Schweiz! Man muss es ganz klar sagen: Ohne die wertvollen Beiträge der zahlreichen Grenzgängerinnen und Grenzgänger und EU-Mitarbeitenden liesse sich unser hochkomplexer und umfangreicher Betrieb nicht in gleichem Umfang aufrechterhalten. Der Fachkräftemangel in der Schweiz ist eine Tatsache und wird sich aller Voraussicht nach noch verschärfen, wenn die Generation der sogenannten “Babyboomer” in Pension geht.
Wie verhält es sich mit dem Argument, dass Schweizer Arbeitnehmende durch günstigere Ausländer ersetzt werden?
Die Bundesverwaltung überprüft regelmässig die Auswirkung der Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt. Und diese Analysen sprechen eine klare Sprache: Es gibt keine Belege für einen generellen Lohndruck. Im Gegenteil: Diese Fachkräfte werden gebraucht und sie leisten obendrein noch einen positiven Beitrag zu den Sozialwerken, insbesondere der AHV. Des Weiteren haben wir ja den sogenannten «Inländervorrang» - damit ist sicherstellt, dass zuerst das inländische Arbeitskräftepotenzial ausgeschöpft wird!
Nur über die Personenfreizügigkeit zu sprechen greift aber zu kurz; wird diese aufgekündigt, sind auch alle weiteren der Bilateralen Abkommen I mit der EU hinfällig.
Warum sind die Bilateralen Abkommen in Gefahr - und was würde dies für Novartis bedeuten?
Da das Freizügigkeitsabkommen mit den anderen sechs Abkommen der Bilateralen I verknüpft ist, würden auch diese hinfällig werden, und zwar automatisch. Fallen die Bilateralen I weg, wäre dies für die Schweizer Wirtschaft und damit auch für Novartis ein herber Schlag. So dürfte die Schweiz beispielsweise nicht länger an europäischen Forschungsrahmenprogrammen teilnehmen. Hier ist Novartis vor allem in den Private-Public-Partnerschaftsprogrammen stark engagiert. Zudem wären hierzulande hergestellte und geprüfte Medikamente in der EU nicht mehr automatisch marktfähig, müssten also jeweils in der EU erneut geprüft werden und die Marktfreigabe erhalten. Diese aufwändige, kostenintensive und ineffiziente Prozedur bleibt uns heute dank des Abkommens zu den technischen Handelshemmnissen erspart. Hiervon profitieren insbesondere die zahlreichen kleineren und mittleren Unternehmen in der Schweiz. Für die Pharmaindustrie würde eine Kündigung des Abkommens zusätzlich noch bedeuten, dass die heute geltende automatische Anerkennung der Swissmedic Inspektionen der Schweizer Produktionsstätten in der EU nicht mehr anerkannt wäre. Dadurch entstünden für die Pharmaindustrie jährlich Mehrkosten zwischen CHF 150-300 Mio.
Kurz gesagt: Die Schweiz verlöre den erleichterten Zugang zum wichtigsten Markt, dem EU-Binnenmarkt, welcher mehr als die Hälfte aller Exporte ausmacht. In der jetzigen Krise ein solches Risiko einzugehen, ist keine gute Idee, insbesondere auch, weil es keinen Plan B gibt! Die Coronakrise hat zudem anschaulich gezeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ist - diese sollten wir durch die Kündigungsinitiative keinesfalls gefährden.