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Ein Wirkstoff gegen drei Krankheiten
Von Elizabeth Dougherty
Die Raubwanze ist in vielen ländlichen Gebieten Lateinamerikas für die Verbreitung der tödlichen Chagas-Krankheit verantwortlich. Durch ihren Stich kann es zur Übertragung von einzelligen Organismen kommen, die sich in verschiedenen Geweben einnisten. Oft leben die Betroffenen mit diesen Eindringlingen jahrzehntelang symptomfrei, die Parasiten zerstören jedoch nach und nach die Herz- und Darmwand und führen so zum Verlust der Funktion dieser Organe.
Andere Erreger rufen die Schlafkrankheit (afrikanische Trypanomiasis) und Leishmaniose hervor, zwei Krankheiten, die im Gegensatz zur Chagas-Krankheit klare und früher auftretende Symptome haben. Insgesamt betreffen diese drei Erkrankungen 20 Millionen Menschen weltweit und verursachen jedes Jahr über 50 000 Todesfälle. Sie werden von drei unterschiedlichen, jedoch miteinander verwandten Parasiten ausgelöst.
Die Mikroorganismen sind in der Tat so eng miteinander verwandt, dass Forscher des Genomics Institute der Novartis Research Foundation (GNF) nach einem Wirkstoff suchten, der alle drei Erreger eliminieren könnte. Bei Laborversuchen identifizierten sie einen Wirkstoff, der bei Mäusen wirksam war. Ausserdem konnte eine gemeinsame Schwachstelle aller drei Erreger festgestellt werden. Die Forschungsergebnisse, die vor Kurzem in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, sind von grosser Relevanz, weil sie den Weg zu neuen Therapien ebnen, die auf diese gemeinsame Schwachstelle abzielen.
Wir hatten immer vermutet, dass eine einzige Medikamentenklasse bei allen drei Erregern wirksam sein könnte. Aber natürlich liegen Welten zwischen einer solchen Hypothese und der tatsächlichen Entdeckung eines Moleküls mit den richtigen Eigenschaften.
Die Entdeckung wird auch von Graeme Bilbe, Research and Development Director der Drugs for Neglected Diseases Initiative, begrüsst. Die bestehenden Behandlungsmethoden für diese vernachlässigten Krankheiten sind begrenzt und es befinden sich nur wenige neue Therapien in der Entwicklung.
Selbst die besten verfügbaren Optionen sind nach heutigen Standards veraltet, meint Bilbe, da sie nicht nur für den Erreger toxisch sind, sondern auch für den Patienten. Ein gezieltes Medikament würde hingegen nur den Parasiten angreifen.
Von diesen Krankheiten betroffene Menschen „sind von bahnbrechender Forschung abhängig, die hoffentlich zu wirksamen Therapieformen führen wird“, kommentiert Bilbe.
Einen gemeinsamen Nenner finden
Wissenschaftler wissen seit Jahren, dass die Parasiten, die für diese Krankheiten verantwortlich sind, miteinander in Zusammenhang stehen. Sie gehören derselben Klasse einzelliger Organismen, den Kinetoplastea, an.
„Wir hatten immer vermutet, dass eine einzige Medikamentenklasse bei allen drei Erregern wirksam sein könnte“, so Frantisek Supek, Hauptautor und Senior Investigator bei GNF. „Aber natürlich liegen Welten zwischen einer solchen Hypothese und der tatsächlichen Entdeckung eines Moleküls mit den richtigen Eigenschaften.“
In einem ersten Schritt testete das Team über drei Millionen Wirkstoffe, um herauszufinden, ob einer davon alle drei Parasiten vernichten würde. Dieser Vorgang, der im Grunde aus drei Millionen parallel durchgeführten Experimenten bestand, verwendete die Robotertechnologie des GNF und dauerte pro Parasit nur zwei Wochen. „Es ging wirklich sehr schnell“, kommentiert Supek.
In separaten Experimenten an Säugerzellen untersuchten die Forscher diejenigen Wirkstoffe, die gegen die Erreger Wirksamkeit zeigten. Das Ziel war es, die Auswahl auf diejenigen Wirkstoffe einzuschränken, die gegen die Parasiten wirksam sind, ohne dabei dem Patienten zu schaden.
Einer der Wirkstoffe erwies sich als besonders vielversprechend – laut Supek war dies jedoch erst der Ausgangspunkt. In einem nächsten Schritt fügte ein Team aus Chemikern unter Leitung von Advait Nagle dem Molekül verschiedene Atome hinzu und entnahm andere, um daraus ein Medikament zu machen. Ein potenzieller Wirkstoff muss beispielsweise so wirksam sein, dass die Patienten sich der Behandlung nicht allzu oft oder allzu lange unterziehen müssen.
Nachdem die Forscher von Novartis einen Wirkstoff mit den gewünschten Eigenschaften entwickelt hatten, wurde er an Mäusen getestet. Es konnte gezeigt werden, dass er die Infektionen tatsächlich eliminierte. Sicherheit und Wirksamkeit des Wirkstoffs wurden am Menschen noch nicht untersucht.

Parasiten ohne Grenzen
Diese Erkrankungen sind besonders in Südasien, Afrika und Lateinamerika verbreitet. Das Tropenklima bietet den Insekten, die die Parasiten übertragen – der Tsetse-Fliege (Schlafkrankheit), der Sandmücke (Leishmaniose) und der Raubwanze (Chagas-Krankheit) – ideale Lebensbedingungen.
Die drei Krankheiten nehmen jedoch auf Ländergrenzen keine Rücksicht. So leben beispielsweise etwa 300 000 Menschen mit der Chagas-Krankheit in den USA.
Die Leishmaniose hat sich inzwischen auch in Europa ausgebreitet – zuletzt kam es in Spanien zu einer Epidemie. Eine Form der Leishmaniose verursacht entstellende Geschwüre der Haut, während eine andere Form innere Organe befällt und ohne Behandlung tödlich verläuft. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation sterben jedes Jahr 20 000 bis 30 000 Menschen an Leishmaniose.
Die Schlafkrankheit verläuft ohne Therapie ebenfalls in nahezu allen Fällen tödlich. Der Parasit verursacht anfänglich Kopfschmerzen und Fieber, befällt dann das Nervensystem und führt schliesslich zu Koma und Tod. Am häufigsten tritt die Erkrankung in Afrika auf. In der Demokratischen Republik Kongo hatte sie epidemische Ausmasse erreicht, bevor in letzter Zeit neue Therapieformen die Anzahl der Fälle reduzieren konnten.
Die Medikamente, die für die Behandlung dieser Erkrankungen inzwischen zur Verfügung stehen, sind zwar besser als diejenigen, die vor zehn Jahren eingesetzt wurden, bleiben aber immer noch weit hinter den Erwartungen zurück. Die meisten müssen durch Injektion verabreicht werden; dies ist oft schmerzhaft, da die Wirkstoffe in der Spritze kristallisieren können, bevor die Injektion abgeschlossen ist. Manche Wirkstoffe lassen sich schlecht vermischen und müssen kühl gelagert werden. Für die Chagas-Krankheit gibt es eine orale Therapie, das Medikament muss jedoch mehrere Monate lang eingenommen werden. Ausserdem brechen die Patienten die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen oft ab.
„Wir glauben, dass eine bessere Behandlung möglich ist“, so Bilbe.
Neue biologische Möglichkeiten
Die Forscher untersuchten den optimierten Wirkstoff von Novartis einerseits an Mäusen, wollten aber andererseits auch den biologischen Mechanismus verstehen, der seiner Wirksamkeit zugrunde liegt. Sie setzten einen der Erreger – den Auslöser der Chagas-Krankheit – schrittweise höheren Konzentrationen des ursprünglichen Wirkstoffs aus, um Parasiten mit seltenen Mutationen zu identifizieren, welche die Mikrobe gegenüber dem Wirkstoff immun machten. Als Nächstes bestimmten die Forscher mittels DNA-Sequenzierung, wo genau diese Mutationen auftraten.
Die Mutationen führten das Team zum biologischen Ziel des Wirkstoffs: dem Proteasom, einer molekularen Maschine, die für die Sammlung und den Abbau fehlerhafter Proteine in der Zelle zuständig ist. Ohne die Qualitätskontrolle des Proteasoms häufen sich die fehlerhaften Proteine und die Zelle stirbt.
Das Proteasom ist ein neuer, überraschender therapeutischer Ansatzpunkt bei der Behandlung der Chagas-Krankheit, der Schlafkrankheit und Leishmaniose. Es kommt sowohl in einzelligen Erregern als auch in menschlichen Zellen vor. Ein geringfügiger Unterschied zwischen dem Proteasom von Erreger und Säugerzellen ermöglicht es jedoch, ersteres zu eliminieren, ohne dem letzteren zu schaden.
Diese Entdeckung des Forschungsteams hat „völlig neue biologische Möglichkeiten“ im Kampf gegen die drei Erkrankungen erschlossen, so Bilbe. Es sieht ganz danach aus, dass die Wissenschaftler mittels eines Ansatzpunktes alle drei Krankheiten ins Visier nehmen können.
Graeme Bilbe, Research and Development Director der Drugs for Neglected Diseases Initiative, arbeitete vormals für Novartis.
Das Genomics Institute der Novartis Research Foundation
Das Genomics Institute der Novartis Research Foundation (GNF) schlägt eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und präklinischer Wirkstoffentdeckung für die globale Forschungsorganisation von Novartis, die Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR)